Ritual

Die übergeordneten Ziele der beiden Projekte Tanzgut und tänzerisch leben sind Liebe, Heilung und Frieden. Der konkrete Beitrag von tänzerisch leben ist mit Geschichten, Gedanken und gelebtem Leben zu ermutigen und zu inspirieren. Der Beitrag vom Tanzgut ist es einen Ort für Praxis, Gemeinschaft und Ritual zu bieten. Diese zentralen Begriffe sollen mit den Blogeinträgen mit Leben gefüllt werden. Den Anfang machte der Dezember-Beitrag Tanzgut als Gemeinschaftsort, es folgte der Eintrag zur Praxis und dieser widmet sich vorrangig dem Ritual auch wenn die drei so verwoben sind, dass es immer um alle zugleich geht.

 

Dieser Blog ist manchmal etwas abstrakter, manchmal persönlicher gehalten. Bevor ich persönlich meinen eigenen Bezug zu Ritual erzähle, ein paar allgemeine Sätze vorneweg. Der zentrale Unterschied zu einer Zeremonie ist, dass ein Ritual offen ist für Spontanität, für Kontakt mit den natürlichen Elementen, dass es eben nicht um eine genaue Choreografie geht, die es 1:1 umzusetzen gilt. Es gibt eine Vorbereitung, es gibt Muster und einen Ablauf doch gleichzeitig Raum für Interaktion mit der mehr-als-menschlichen-Welt und spontane Wendungen. Rituale markieren Übergänge: Alltagsrituale wie zu Abschied & Begrüßung, zur gemeinsamen Mahlzeit, zum Schlafengehen oder Aufstehen. Übergangsrituale zu Geburt eines Menschen, zum Eintritt ins Erwachsenwerden, vom Jungen zum Mann oder Mädchen zur Frau. Vom Liebespaar zum Bund fürs Leben. In den Kreis der Ältesten und dann der Toten und Ahnen.

 

Ich selbst bin evangelisch-christlich aufgewachsen, wurde getauft und konfirmiert und konnte bis in meine Jugend hinein mit Kirche und christlichem Glauben einiges anfangen, bis ich mich mehr und mehr davon gelöst habe zu einer offeneren spirituellen Perspektive hin. Irgendwann war mir die Kirche fremd geworden, wirkte für mich wie aus der Zeit gefallen, irgendwie museal und passte auch nicht mehr zu meiner Weltsicht und meinem Leben. Ein wichtiger Prozess war dabei die Beschäftigung mit indigenen Traditionen aus aller Welt, besonders mit den keltischen/germanischen und wie sie gewaltsam zerstört wurden. Alte heilige Haine wurden abgeholzt, Kirchen an keltische Kraftplätze gebaut, Feste und Rituale mit christlicher Religion überformt. (Gut beschrieben in verschiedenen Büchern von Wolf-Dieter Storl).

 

Es entstand eine Leere, Traurigkeit über den Verlust dieser Wurzeln und der Wunsch sich einerseits mit alten Ansätzen wieder zu verbinden und gleichzeitig etwas neues zu kreieren, dass zu mir, uns und dieser Zeit passt. Denn eine rein weltliche Sicht auf das Leben hatte für mich nie eine wirkliche Anziehung. Es bleibt ein Vakuum, das Arbeit, Konsum, Freizeit oder Wissenschaft nicht füllen können.

 

Besonders beeindruckt hat mich dabei die Lektüre von „The Healing Wisdom of Africa“ von Malidoma Some. Er versucht Brücken zu bauen zwischen der westlichen Moderne und indigener Kultur, wie er sie aus dem Stamm der Dagara kennt. Durch ihn wurde mir die Bedeutung von Gemeinschaft für Rituale deutlich: Heilung, Gemeinschaft, Ritual sind alle verwoben und Teil einer Weltsicht, die die materielle/anfassbare Dimension und die geistige Dimension der Naturwesen vereint. Es ist daher fast nicht möglich sinnvoll über das eine ohne das andere zu sprechen.

 

In den ersten Jahren der Mitmachhaus-Zeit habe ich vieles intuitiv gemacht, hatte oftmals eine Ahnung, mit der Zeit kamen die passenden Bücher und Erfahrungen dazu um es expliziter zu machen und auch darüber sprechen (oder schreiben) zu können. Von Anfang an war der Jahreskreis für uns eine wichtige Dimension: Innehalten und Ruhe im Winter, Aufbruch und Gestalten im Frühling, Arbeiten und Feiern im Sommer, Ernten und Zurückblicken im Herbst. Die Übergänge dabei bewusst vollzogen: Saisonauftakt, Sommerfest, Saisonabschied und Wintersonnenwende. Auch dabei haben wir immer wieder neues ausprobiert: Was sind stimmige Rituale? Auf was können sich Menschen einlassen? Was macht für sie Sinn?

 

Wir haben gesungen, getanzt, inne gehalten, im Kreis geteilt, oft Feuer gemacht. Die Praxis dabei oft mit einem Ritual gerahmt: Es beginnt etwas, es endet etwas. Neben dem Jahreskreis wurde auch der Mondzyklus zunehmend eine wichtige Orientierung. Neumonde um neues zu beginnen, zunehmender Mond zum Aufbauen, Vollmonde zum Feiern, abnehmender Mond zum Loslassen. Manche Rituale waren und sind lange vorbereitet: Wir merken im Voraus, es ist Zeit etwas zu Reinigen, Feiern, Abzuschließen. Manche Rituale eher spontan – ein plötzlicher Regen zieht auf und wir feiern das Wasser. Wir spüren eine Männlichkeitskrise und beschließen sie zu beenden.

 

In den letzten Jahren wurde mir Ritual als eine ständige Dimension des Lebens dabei noch wichtiger. Also neben den zu bestimmten Anlässen bewusst durchgeführten Ritualen, eine Haltung, die versucht wahrzunehmen, wenn eine Begegnung, eine Situation Ritualcharakter hat, das Leben also eine Einladung ausspricht, ein Ritual zu vollziehen. Es immer noch möglich ist, die Einladung nicht anzunehmen doch ein großes Potential liegt darin, diese Chancen zu ergreifen für das eigene Wachstum wie für die Heilung der Welt. In einem Männerkreis hatte ich letztens einen Austausch: Ein Mann betonte die Wichtigkeit von Initiationsritualen, die er selbst anbot, meine Vorstellung man werde vom Leben initiiert fand er naiv. Aus meiner Sicht ergänzen sich beide: Rituale sind wichtig und notwendig und gleichzeitig ist es das Leben, dass uns Prüfungen stellt, zu Begegnungen und besonderen Situationen verhilft, an denen wir wachsen und heilen können.

 


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