Tanzgut als Gemeinschaftsort

Für mich ist das Tanzgut ein Gemeinschaftsort. Viele unserer Gäste und Freunde fanden das nicht sofort einleuchtend. Schließlich wohnte hier ja keine größere Gruppe von Menschen dauerhaft zusammen wie in Projekten wie Schloss Tempelhof, 7 Linden oder dem ZEGG. Der Beitrag soll daher das Gemeinschaftsverständnis, seine Entstehung und Ausgestaltung in den letzten Jahren beschreiben. Der Beitrag ist diesmal doppelt so lange, dafür umfasst er auch 10 Jahre :-)

 

Zu Studienzeiten habe ich mich für die genannten Gemeinschaftsprojekte sehr interessiert und in der Gemeinschaftsgruppe, von der ich Teil war, gab es auch die Idee später einmal zusammen in einer Art Landkommune zu leben (im ersten Beitrag bin ich darauf schon kurz eingegangen). Sowohl andere Projekte von Lebensgemeinschaften als auch unsere eigenen Prozesse waren für mich sehr bereichernd und inspirierend. Gleichzeitig gab es einiges, was ich eher anstrengend und für mich als nicht passend erlebt habe: Vor allem zwei Punkte: Sich stark abstimmen zu müssen, was gemacht werden kann oder wie etwas gestaltet wird. Und wenig Raum zu haben wirklich allein sein zu können.

 

Während ich also damals mit der Gruppe nach einer Immobilie passend für gemeinsames Leben und Arbeiten von ca. zehn Menschen suchte, hielt ich gleichzeitig die Augen offen nach einem Ort, den ich als zusätzliches/ergänzendes Projekt mir vorstellte: Ein Ort, der leichter und freier sein sollte als die Alltagsgemeinschaftsprojekte, ein Ort für ein genussvolles und genügsames Leben, gestaltet und belebt mit einer tänzerischen Haltung. Ein Ort, der Alleinsein und Gemeinschaft verbindet. Für nährende, kraftgebende schöne Aktivitäten wie tanzen, singen und draußen sein in der Natur.

 

In diesem Zusammenhang entdeckte ich also den Ort, der später zum Tanzgut werden sollte. Von Anfang an war klar, dass es eben kein Wohnprojekt werden sollte. Als ich und die anderen in den ersten Jahren von April bis Oktober vor Ort waren, nannte ich uns auch nicht „Bewohner“ sondern „Haushüter“ oder sprach von Dauergästen im Unterschied zu den Gästen, die nur kurz vorbeikamen. Damit verbunden war auch die Idee nicht zwischen Gästen und Gastgebenden zu unterscheiden. Mit ein paar Jahren Abstand sehe ich immer noch den Charme von diesem Ansatz doch auch besser andere Perspektiven, dass wir beispielsweise von Außen betrachtet eben doch die Bewohner waren und unsere Besucher die Gäste.

 

Als diese Phase spätestens 2018 zu Ende ging und niemand mehr im Haus „wohnte“, war es für einige damit auch kein Gemeinschaftsprojekt mehr. Da sie es eben in diesen Jahren immer als gemeinschaftliches Wohnprojekt einsortiert hatten und für sie Gemeinschaft = zusammen wohnen bedeutete. Das irritierte mich, da ich auch schon in diesen ersten Jahren den Fokus eher auf drei anderen Arten von Gemeinschaft gelegt hatte: Zunächst die Gemeinschaft des Augenblicks, eine „communidad del momento“: Wenn wir zusammen sangen oder in Stille ein starkes Gefühl der Verbundenheit entstand und es gar nicht wichtig war, wer wen wie gut oder nicht kannte. Eine Form der Gemeinschaft, die auch bald wieder zerfiel, nachdem sie sich aufgebaut hatte.

 

Zudem die Gemeinschaft als eine Art vertiefter Freundschaft, wenn also zwischen Freunden durch gemeinschaftliche Erlebnisse noch eine andere Tiefe und Vertrauen entsteht. Wie eine zusätzliche Ebene in einer Beziehung. Ein Bruder kann auch ein Freund sein und kann auch zusätzlich ein Gemeinschaftsmitglied werden. Und drittens Gemeinschaft als ein Gewebe aus vielen Menschen, die durch Beziehungsfäden weiter verbunden sind auch wenn sie räumlich woanders leben und sich nur punktuell und in verschiedenen Konstellationen an einem Ort wiedersehen.

 

Die vierte Form – das zusammen wohnen und Alltag teilen - war für mich eher wie ein hilfreiches Mittel, eine gute Voraussetzung, um den Rahmen für die drei vorherigen Formen zu ermöglichen, sie wahrscheinlicher zu machen, gute Bedingungen für Gemeinschaft zu schaffen. Als 2018 mein Projektpartner Mirko und ich nicht mehr Haushüter waren und die „Haushüter“ eher zu Bewohnern wurden, fiel mir auf: Das Konzept vor Ort zu sein, um Gemeinschaft zu ermöglichen war sehr speziell und es konnte eigentlich von niemandem Neuem erwartet werden. Doch, dass Menschen einfach nur im Haus oder auf dem Gelände wohnen, dafür hatte ich das Projekt nie gegründet. Es war für mich dadurch folgerichtig, dass es keine dauerhaften Bewohner oder Haushüter geben würde sondern, dass ich gern den Ort anderen für gemeinschaftliche Aktionen zur Verfügung stellen wollte. Bis zu diesem Zeitpunkt, also von 2014 bis 2017 war der Modus eher so, dass es von April bis Oktober ein einziger von uns organisierter langer Gemeinschaftsprozess war. Ich nannte das einmal rückblickend „100 Tage Selbsterfahrungsseminar im Jahr“ wobei mir Mirko zu Recht widersprach, da Selbsterfahrungsseminare natürlich noch einmal anders intensiv sind doch es fällt mir schwer diesen intensiven Alltag anders zu beschreiben.

 

 

Denn neben unserer kleinen Kerngemeinschaft der zwei bis drei Haushütenden kamen aus unseren Freundeskreisen jede Saison ca. 100 Gäste an den Ort, die für ein paar Tage mit uns lebten. So waren wir eine Woche noch zu zweit oder zu viert, dann zu zehnt und dann wieder allein. Gleichzeitig gab es den Anspruch immer eine Gemeinschaft auf Zeit mit den jeweils Anwesenden zu formen, ausgehend morgens von einer Morgenrunde: Wie gehts dir? Wonach steht dir der Sinn?

Über gemeinsame Mahlzeiten, oftmals gemeinsame Aktivitäten bis abends beim Feuer, der Tag mit einer Glücksmomente-Runde abgeschlossen wurde. Durch dieses aufeinander Beziehen entstand meist ein intensives Gemeinschaftserlebnis mit unglaublich vielen berührenden Momenten. Allerdings war dieser Modus, sich immer wieder auf neuen Menschen einzulassen und eben eine neue Gemeinschaft zu kreieren sehr anstrengend.

 

Ab 2018 war mir klar, dass ich selbst nur noch in wenigen Zeitfenstern solche Gemeinschaftszeiten organisieren und moderieren wollte, der Ort jedoch das Potential für viele Menschen hat und so begann ich, anderen Menschen, den Ort zur Verfügung zu stellen, wenn sie gemeinschaftliche Aktionen machen wollten. Die erste „externe“ Veranstaltung war die contact long jam. Von dort ausgehend sowie aus dem Gewebe der Mitmachhaus-Gäste sprach sich das Tanzgut in verschiedenen Kreisen herum. Die Kriterien für Aufenthalte waren recht schnell klar: Eine Beziehung zu mir und dem Ort war vorab notwendig, in der Regel zwischen 5 und 15 Menschen (manchmal auch mehr oder weniger) für 3 bis 5 Tage zwischen Mai und Oktober. Eine Ausrichtung, die zum Ort passt sowie eine private, selbstorganisierte Veranstaltung.

 

Weder zum Ort noch zu einem Menschen sollte ein Anbieter-Kunden-Verhältnis entstehen wie an vielen Stellen in unserer Gesellschaft. Der Ort wird zur Verfügung gestellt und Menschen schenken nach ihrem Ermessen etwas zum Erhalt desselben. Und auch die Menschen die etwas organisieren, sollten bislang nicht als Professionelle vor Ort sein, niemand sollte vor Ort seine Arbeitszeit verbringen und damit Geld verdienen. Der letzte Punkt wird behutsam ab der neuen Saison geöffnet: Wenn also Menschen ihre Erwerbstätigkeit auf Liebe, Heilung und Frieden hin ausgerichtet haben, was ja genau der Idee des Tanzgutes entspricht und sie zudem ein solidarisches Modell anwenden und mit uns dem Ort gut verbunden sind, werden auch manche „professionelle“ Angebote in der neuen Saison möglich sein. Das nur als kurzer Ausblick.

 

Oft beginnen die Gästeaufenthalte mit dem Auspacken eines Großeinkaufs. Das Essen für die Tage wird in die Küche getragen und die ersten beginnen zu kochen. Zusammen zu kochen und zu essen, gehört eigentlich für alle Gruppen dazu. Dann gibt es bei fast allen Redekreise, in denen von Herzen geteilt wird. Bei den Aktivitäten wird je nach Gruppe mehr getanzt oder meditiert, abends lange am Feuer gesessen oder schon morgens Yoga auf dem Sonnendeck praktiziert. Die „Gruppen“ sind oftmals auch recht offene Zusammenkünfte, ein Teil kennt sich schon, ist freundschaftlich verbunden, andere kommen neu dazu und zusammen formen sie eine Gemeinschaft auf Zeit. Für manche wurde oder wird es gerade zu einer kleinen Tradition, einmal im Jahr sich im Tanzgut zu treffen. Manche kommen auch in anderer Konstellation wieder, feiern ihren Geburtstag mit einem gemeinschaftlichen Wochenende oder kommen erst nach Jahren wieder, mit Kindern, als Familien. Für mich hat sich dadurch das Gemeinschaftsleben vervielfältigt. Zumindest die ersten drei skizzierten Formen, Gemeinschaft des Moments, der vertieften Freundschaft, des Gewebes. Die vierte Form: Das dauerhafte, ganzjährige, gemeinschaftliche Wohnen war in der Tanzgut-Zeit nicht mehr relevant.

 

Neben Saisonauftakt und Abschluss in kleinerem Rahmen waren auch die fünf Sommerfestivals, die wir selbst ausgerichtet haben wichtig in vielerlei Hinsicht: Sie boten Gelegenheit sich über Freundeskreise und Szenen hinweg kennenzulernen und gemeinsam unterschiedlichste Workshops zu besuchen. Die Idee dahinter war auch, dass Menschen das Verbindende verschiedener Praxisformen erkennen können. Das Tanzgut als ein Ort an dem unterschiedliche Praktizierende zusammenkommen: Yoga, Singen, Meditieren, Tanzen, Malen, Musizieren, bewusst draußen sein, um die wichtigsten nochmal zu nennen.

 

Der Beitrag ist lange geworden. Er ist entstanden nach 10 Jahren. Fünf Saisons (ist das der Plural?) Mitmachhaus 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 sowie fünf mal Tanzgut 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022. Er sollte erklären, warum das Tanzgut für mich ein gemeinschaftlicher Ort ist. Und was wir unter Gemeinschaft hier verstehen und auch weiterhin ermöglichen wollen. Mit der neuen Saison beginnt das nächste Kapitel Gemeinschaftsort.


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