Die Bezeichnungen „Tanzgut“ und „tänzerisch leben“ führen immer wieder zu Missverständnissen. Tanzen hier immer alle? Meint tänzerisch eine lockere, unverbindliche Art mit Dingen umzugehen? In einer Reihe von persönlichen Einträgen möchte ich mich verschiedenen Aspekten widmen. Heute der tänzerischen Haltung.
Ich tanze gerne und ich mag Tanzen als Bild, als Metapher. 2013, im Rahmen meiner GFK-Trainerausbildung (Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg) bemerkte ich, dass es für mich bei der GFK weniger um eine Technik geht als vielmehr um eine Haltung zum Leben. Und das für mich diese Haltung gut als „tänzerisch“ beschrieben werden kann. Zugewandt und beweglich. Leicht und wohlwollend. Jeder Mensch ist ein Tanzpartner. Jeder Schritt zählt. Jeder Moment ist ein Neuanfang. Gemeinsam kreieren wir etwas Schönes, versuchen zu etwas Gelingendem beizutragen.
Das Modell der GFK ist sehr hilfreich, die vier Schritte - Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitte - wichtig anzuwenden doch ohne die entsprechende Haltung sind sie wenig wert. Und selbst wenn mir die passenden Worte fehlen oder ich mich ungeschickt ausdrücke, falls ich in einer tänzerischen Haltung bin, wird die Botschaft oftmals trotzdem beim Gegenüber ankommen.
Bevor ich GFK kennenlernte, hatte ich einige Jahre Zen praktiziert, was mir geholfen hat, innezuhalten und wahrzunehmen, was gerade ist. Die GFK passte dazu sehr gut: Die Haltung dahinter war ähnlich und der Ansatz hilfreich, um bewusster zu sprechen und zuzuhören. In der Zen-Tradition gibt es die Vorstellung, dass das ganze Leben Praxis ist. Ein berühmter Zen-Dialog lautet folgendermaßen:
Ein Meister wurde gefragt, was Zen sei. Er antwortete: „Wenn ich esse, esse ich. Wenn ich sitze, sitze ich. Wenn ich gehe, gehe ich.“ Daraufhin entgegneten verwundert die Fragenden: „Das tun wir doch täglich auch!“ Darauf der Meister: „Nein, wenn ihr esst, steht ihr schon auf; wenn ihr sitzt, geht ihr schon...“
Alle Tätigkeiten sind Gelegenheiten zu üben. Beim Kochen kann ich ganz bewusst eine Zwiebel schneiden als Möglichkeit wirklich nur Zwiebel zu schneiden und nichts anderes dabei zu tun. Wichtiger Teil von Zen, ist Zazen, die Sitzmeditation quasi als eine Übung für das Üben. 20 oder 30min täglich nur zu sitzen. Auf dem Meditationskissen zu üben, seine Gedanken zu beobachten und einen Zustand klaren Bewusstseins zu erlangen.
Meine eigene Praxis war jahrelang stark von Zen geprägt. Im Laufe der Zeit habe ich andere Zugänge kennengelernt, die eine ähnliche Haltung wie im Zen fördern, sodass ich irgendwann anfing, meine Praxis anzupassen, je nachdem, was in meinem Alltag möglich und hilfreich war. Früher hätte ich jedem einfach Zen empfohlen doch heute glaube ich, dass Zen nicht für alle passend und hilfreich ist: Jeder Ansatz hat Stärken und Schwächen und es ist gut, dass wir eine Vielfalt zur Auswahl haben. Ich frage mich eher: Was stärkt eine tänzerische Haltung? Für dich in deiner aktuellen Lebenssituation?
Auf verschiedenen Wegen lässt sich in eine tänzerische Kraft kommen. Durch tanzen aber auch durch spielen, durch singen und musizieren, durch still werden, wahrnehmen, malen, meditieren, lieben. Durch Yoga oder wandern und Natur beobachten. Wichtig ist, dass es um eine Praxis geht. Darum präsent im Hier und Jetzt zu sein. Dass die genannten Tätigkeiten nicht auf Ziele oder Ergebnisse ausgerichtet sind sondern um der Praxis willen getan werden. Und das möglichst kontinuierlich.
Dieses Modell von Haltung und Tätigkeit lässt sich flexibel anwenden. Mit einer tänzerischen Haltung ein Gespräch führen oder tänzerisch arbeiten. Gerade Letzteres wird im nächsten Blogeintrag weiter ausgeführt, daher hier nur angerissen. Ein großer Teil des Lebens in einer Arbeitsgesellschaft besteht aus Arbeit und ich gehe davon aus, dass selbst wenn man tänzerisch leben will nicht jede Arbeitstätigkeit mit einer tänzerischen Haltung ausgeführt werden muss, eine pragmatische, ergebnisorientierte Arbeitshaltung ist oftmals zweckmäßiger. Spannend wird es allerdings, wenn etwas schwierig wird, etwas nicht mehr voran geht, nicht fertig wird oder Konflikte auftreten. Entscheide ich mich dann weich und beweglich zu bleiben oder zu werden, oder werde ich bissig und kämpferisch. Hier zeigt sich ob ich insgesamt zur Arbeit eine tänzerische Haltung einnehme. Schwierigkeiten und Konflikte sind daher besondere Chancen, eine tänzerische Haltung zu üben, doch hilfreich ist es auch dann auf eine Haltung und eine Praxis zurückgreifen zu können, die regelmäßig kultiviert wurde.
Das Tanzgut soll Raum bieten, um zu üben, sich für ein tänzerisches Leben zu stärken. Verschiedene Zugänge aufzeigen und unterstützen. An manchen Wochenenden wird eher gesungen, an anderen eher meditiert oder getanzt. Oftmals wird auch kombiniert. Das Sommerfestival ist daher immer breit konzipiert: Es soll verschiedene Ansätze aufzeigen und Praktizierende verschiedener Richtungen zusammenbringen, als Inspiration und um sich verbunden zu fühlen unter tänzerisch Lebenden, die eben nicht alle immer tanzen ;-)
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